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Mariaberg

Das ehemalige Kloster Mariaberg in Rorschach am Bodensee ist die mächtigste spätgotische Klosteranlage der Schweiz.

Insbesondere der Reichtum an Steinmetzarbeiten ist einzigartig: Ein striktes ikonographisches Programm von Schlusssteinen ziert den Kreuzgang und das Refektorium, die Masswerkfenster sind fast alle verschieden voneinander, viele der ursprünglichen Konsolsteine sind noch erhalten, wenn auch mehrere mit Schäden aus dem Bildersturm 1529.

Der Nordarm des Kreuzgangs zeigt verschiedenste Rippengewölbe.

 

Der Kapitelsaal, der während 3 Jahrhunderten als Kapelle diente, trägt eine reiche Ausmalung aus den 60er-Jahren des 16. Jahrhunderts - vom Künstler ist lediglich das Monogramm NK am Boden des Barbarabildnisses bekannt.

 

Im Obergeschoss kamen während der Renovation in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Stützen und Wandgemälde des ehemaligen äbtischen Empfangssaales zum Vorschein. Sie stammen aus der Zeit um 1540.

 

Bemerkenswert sind die Deckengemälde und Stukkaturen in den ehemaligen äbtischen Gemächern, die in der letzten Phase der Abtei St.Gallen, Ende des 18. Jahrhunderts, entstanden.

 

Der Dachstock - vollständig in Holz ohne Eisennägel ausgeführt - stammt fast vollständig aus der Bauzeit.

Das Äussere

Das spätgotische Klostergeviert mit Innenhof ist ein Koloss unter den mittelalterlichen Bauten der Schweiz: 78 m lang und 60 m tief (ohne Neubautiefe des Südflügels). Die Anlage hätte mit der geplanten Kirche am Südflügel wohl ein Quadrat gebildet. Nur an der Ostseite schiebt sich ein Querbau vor, wohl ein Zeuge dafür, dass ursprünglich weitere Annexbauten vorgesehen waren. Auf der westlichen Gegenseite liegt ein rechteckiger, sehr geräumiger Rasenplatz mit axialem Wegnetz und je einem barocken Pavillon in der noch erhaltenen Nord- und Westmauer. Nördlich davon steht das vielleicht ins 16. Jahrhundert zurückreichende Pächterhaus, Überrest einer ehemals dreiteiligen Gruppe von Ökonomiegebäuden. Hangseits befinden sich die kubisch gegliederten modernen Schulbauten mit Aula, bzw. die Sporthalle und der ältere Giebelbau der Turnhalle.

 

Der zweigeschossige, nur talseitig unterkelterte Baukomplex trägt steile Satteldächer, deren Firste in den nördlichen Ecken auf gleicher Höhe angewinkelt sind und nach Süden in neuen Giebelfronten totlaufen, zwischen denen das etwas abgesetzte moderne Dach des Südflügels ruht. Die alten Giebel- und Schleppdachlukarnen sitzen eher zufällig auf den Dachflächen. Von den im 18. Jahrhundert zugunsten des barocken Portalgiebels entfernten Zwerchgiebeln ist einer an der Ostfront des Nordflügels in Fachwerk rekonstruiert worden. An der Nordfassade haben sich zwei renaissanceartige Steinerker erhalten. Der Dachreiter mit barocker Zwiebelhaube auf dem Ostflügel erinnert an die ehemalige Kapelle im Erdgeschoss. Die verhältnismässig reiche Durchfensterung, auf der Nordseite zum Teil mit Kreuzstöcken, ist ohne Achsenbezug, aber ausgewogen. Zahlreiche, wohl nach dem Brand 1489 angebrachte Mauerstreben gürten den Bau ost- und talseitig. Der ursprüngliche Haupteingang im Westflügel, zu dem man durch ein Gitterportal in der Parkmauer gelangt, weist eine rundbogige Sandsteinrustika auf.

Seit 1777 bildet das prunkvolle Nordportal die eigentliche Dominante in der Achse der Mariabergstrasse, barock in der Form, klassizistisch im plastischen Detail. Eine zweiarmige, konzentrisch angelegte Freitreppe mit elegantem Geländer überwindet das Kellergeschoss und führt zu einem konkav geschwungenen Portal mit vorgestellten Säulen und verkröpftem Gebälk, in dessen Triglyphenfries das Baujahr MDCCLXXVII (1777) eingemeisselt ist.

 

In der Mitte sitzt eine Kartusche mit Agnus Dei als geistliches Klosterzeichen (auch Wappen des Klosters St.Johann im Thurtal), begleitet von Abtstab und Inful, darunter Schild mit Rosenstrauch als Wappen der Herren von Rorschach, das Ganze umschlungen von Rosengebinden und Lorbeerzöpfen. Darüber türmt sich das Wappen Rorschach auf, das auf einem Verkündigungsmedaillon ruht, dessen Kette an den savoyischen Annunziatenorden erinnert, erworben 1686 von Fürstabt Gallus Alt. Seitlich des Portals stehen lebensgrosse Sandsteinstatuen (Kopien) der hl. Karl Borromäus und Johannes Nepomuk. Ein geschweifter Giebelaufsatz über der Dachtraufe betont die Portalachse und nimmt eine Uhr und zwei Glöcklein auf.

 

Der mächtige Innenhof hat den spätmittelalterlichen Aufriss bewahrt: runde Kreuzgangfenster mit dreiteiligem Masswerk in zehn auf acht Achsen. Türen öffnen sich in der Verlängerung des alten Westeinganges und zwei weitere in der Nordostecke nah beim oktogonalen Brunnen aus der Barockzeit. Ein Wegkreuz teilt die Rasenfläche, in deren Mitte eine Linde steht. Die Fenster des Obergeschosses verteilen sich regelmässig, aber nicht axial zu den Kreuzgangfenstern, wobei die Abfolge am Westflügel im 19. Jahrhundert verengt wurde.

 

Text aus: Bernhard Anderes, RORSCHACH, Ehemaliges Kloster Mariaberg, 1982 (Herausgegeben vom Amt für Kulturpflege des Kantons St.Gallen und von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern (Schweizerische Kunstführer, Serie 32, Nr.320)

Das Innere

Alle vier Arme des Kreuzganges weisen Rippengewölbe mit wechselnden Figurationen auf. Im Ost- und Westkreuzgang ist es ein zweibahniger, im Südarm ein dreibahniger Zickzacklauf mit Schlusssteinen in Wechselrhythmus. Im nördlichen Kreuzgang variieren Sterngewölbe, deren Vielfalt und Spannung im östlichen Abschnitt zunehmen. Besonders reich sind ein achtstrahliger Gewölbestern und ein sphärisch verschlungenes Rippennetz vor dem Küchen- bzw. Refektoriumseingang gestaltet, deren Schlusssteine das Wappen des Abtes Franz Gaisberg, datiert 1515 und 1516, tragen. Eine farbige Fassung der Werkstücke konnte nicht nachgewiesen werden; hingegen wiesen die Rippen auf den weissen Stichkappen schwarze Begleitstriche auf. Die Kreuzgangfenster mit trichterförmigen, zuweilen profilierten Sandsteingewänden sitzen nicht immer konzentrisch in den Wandschilden, ein Hinweis auf Planänderungen im Wölbesystem. Das Masswerk ist ausserordentlich reichgestaltig, aber durchwegs auf geometrische Grundformen zurückzuführen: Kreise, sphärische Dreiecke und Vierecke, verschnittene Halbkreise, auch Kielbogen und Fischblasen als typische Flamboyant-Motive kommen vor. Der Kreuzgang birgt die vielfältigste und grösste Ansammlung spätgotischer Masswerkfenster in der Schweiz.

Die beiden kreuzrippengewölbten Joche, welche seit 1777 den Durchgang zum Nordportal vermitteln, gehörten zur einstigen quadratischen Küchenhalle mit stimmigem Rundpfeiler in der Mitte, erbaut laut Wappen in den beiden sichtbaren Schlusssteinen unter Abt Gotthard Giel nach 1497. Die durch eine Wand abgetrennte östliche Hälfte dient noch immer als Küche. Der tonnengewölbte Stichgang zum alten Westportal wird von einer reichprofilierten Archivolte gerahmt, die sich auf Kämpferhöhe totläuft, während am Scheitel die Rundstäbe eineverschlungene Astwerkkonsole für die Gewölberippen bilden. Ein heute viel benützter (neuer) Eingang im Ostannex führt durch eine gedrückte Halle in den östlichen Kreuzgang, jetzt durch eine Wand unterteilt. Ein schwerfälliger gefaster Mittelpfeiler trägt vier gestreckte Kreuzgewölbefelder, deren Rippen hinter leeren Schilden aus den Wänden hervorwachsen und Schlusssteine aufnehmen. Die beiden nördlichen der heutigen Durchgangshalle zeigen das Bärenwappen des Klosters St.Gallen und das Wappen des Abtes Franz Gaisberg; die beiden südlichen sind leer. Die farbige Gestaltung ist neu. (Die Konsolen an der Nordseite des Durchgangs sind als Masken ausgebildet. [tk])
Die Bauplastik im Kreuzgang konzentriert sich auf die Schlusssteine und auf die Rippenanfänger. Letztere lassen sich unterscheiden in geometrisierende, kristalline, pflanzliche und figürliche Konsolen (z. T. verstümmelt), wobei porträthafte Köpfe (Werkmeisterbildnisse?), Masken und Tiergebilde vorkommen. Das von einem Bären gehaltene Rösch-Wappen in der Nordostecke der Fensterfront lässt den Schluss zu, dass zumindest im nördlichen Ostarm die Gewölbeansätze noch zu Abt Ulrichs Zeiten, also vor 1491, geschaffen wurden. Die Gewölbe sind aber auch hier erst um 1514 geschlossen worden ( Datum auf dem Medaillon der hl. Katharina). Die Schlusssteine zeigen die vier Evangelistensymbole und die Halbfiguren der 14 Nothelfer: Georgius, Blasius, Erasmus, Pantaleon, Vitus, Christophorus, Dionysius, Achatius, Eustachius, Aegidius, Magnus, Katharina, Margaretha und Barbara. Die Gestalten sind durch differenzierte Kleidung und lebhafte Gesichtszüge individualisiert. Die Schriftbänder mit den Heiligennamen sind zumeist unauffällig hinterlegt; der ringförmige Rahmen ist nur in den ersten fünf Medaillons überschnitten. In der Ecke zum Südarm sitzt ein origineller Schlussstein mit dem Dreierwappen des Abtes Franz Gaisberg, dessen konzentrisch angeordnete Schilde mit Bär, Dogge und «Gais» von Putten gesäumt wird. Die folgenden Schlusssteinenehmen wiederum Halbfiguren auf: Christus mit Reichsapfel, die Apostel Petrus, Andreas, Jakobus d. Ä., Johannes, Thomas, Jakobus d. J. (dat. 1519), Philippus, Bartholomäus, Matthäus, Simon, Judas Thaddäus und Mathias, Wappen Gaisberg in Pyramidenform, die Muttergottes sowie die in St.Gallen besonders verehrten Gallus (dat. 1519), Otmar, Benedikt (dat. 1519), Notker (1513 seliggesprochen, aber als Heiliger verehrt) und Wiborada. Auf den dekorativ verschlungenen Schriftrollen der Apostel sind die Glaubenssätze des Credo auf deutsch eingemeisselt. Mit Ausnahme des zart gemeisselten Blumenrahmens des Muttergottesbildes sind die tellerförmigen Medalllons vom Relief prall bis an den Rand gefüllt.

Die 17 Schlusssteine im Westarm sind künstlerisch weniger anspruchsvoll. Sie beginnen im Süden mit einer von Astwerk umschlungenen Rosette, dann kreuzförmiges Bandgeschlinge, sechsstrahliger Stern, sechzehnblättrige Rosette, achtblättrige Rosette, sechsstrahliger Stern, achtspeichige Wirbelrosette und Blüte; dann folgen Steine mit Passionswerkzeugen: Inschriftstein («si hand gspilt um din rock IHS»), Gewand Christi mit Würfeln, Kreuz mit Nägeln, Dornenkrone und Schlägern, Lanze und Ysopstengel, Geisselsäule mit Rute und Knute, Kreuz mit Dornenkrone und liegendem Engel, Hand Gottes, Agnus Dei und Antlitz Christi (Schweisstuch der Veronika). Die Entstehungszeit ist nicht bekannt, könnte aber um 1513 (Datum im anliegenden Sommerrefektorium, s.u.) oder vorher liegen, als erst die Laubwerksteinmetzen, nicht aber die eigentlichen Bildhauer auf dem Platze waren.

Zur Frage der Bauhütte

Text aus: Bernhard Anderes, RORSCHACH, Ehemaliges Kloster Mariaberg, 1982 (Herausgegeben vom Amt für Kulturpflege des Kantons St.Gallen und von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern (Schweizerische Kunstführer, Serie 32, Nr.320)

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Mariaberg in Zahlen

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